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Wer anderen eine Grube gräbt 2

Natalie Ediger, 2. Mai 2016· Digitales Lernen

Die Bedeutung der Prämisse im Storytelling. – Teil II

Im ersten Teil waren wir bei der Behauptung stehengeblieben, dass alles, was in einem guten Stück vorkommt, einzig deshalb hineingeschrieben wurde, um die Prämisse zu beweisen. Sehen wir uns das einmal anhand eines Beispiels aus Lajos Egris Buch „Dramatisches Schreiben“ an: Romeo und Julia – ein Meisterwerk der Erzählkunst. Shakespeares Prämisse lautet: Die große Liebe besiegt sogar den Tod.

Bereits eine kurze Überprüfung der Handlung lässt uns schnell erkennen, dass jede Figur mit all ihren Beweggründen und Eigenschaften perfekt danach ausgerichtet ist, die Prämisse zu untermauern.

Für Romeo und Julia ist die komplette Handlung ein Irrweg durch Hindernisse. Doch mit jedem Hindernis, das überwunden werden muss, wird die Liebe der beiden zueinander tiefer. Sie sind nicht nur gewillt, ihre Namen aufzugeben, sondern auch, sich dem Hass ihrer beiden Familien entgegenzustellen. Und obwohl die Familien alles daran setzen, die beiden auseinanderzubringen, so ist es am Schluss doch die Liebe, die trotz aller Widrigkeiten erblüht.

Die große Liebe besiegt sogar den Tod. Diese Prämisse legt drei wesentliche Dinge fest: Die Größe der Liebe, wo genau die Liebe hinführt und wie weit sie gehen muss, um zu siegen. Aus diesem einen Satz kann man sowohl den Charakter als auch den Konflikt und die Auflösung der Geschichte ableiten.

Soweit Egris Analyse.

Und wie findet man eine passende Prämisse? Grundsätzlich erscheint es notwendig, dass der Autor absolut von seinem zentralen Gedanken überzeugt ist. Nur dann kann er ihn auch glaubhaft beweisen. Im Umkehrschluss schöpft also jeder Schriftsteller am besten aus seinen eigenen Überzeugungen um eine gute Prämisse für seine nächste Geschichte zu finden. Entspricht die Prämisse nicht den Ansichten des Autors, entsteht in den meisten Fällen ein holpriger Plot, der schnell zerfasert und das Wesentliche aus den Augen verliert.

Für den Zuschauer hingegen spielt es nur eine geringfügige Rolle, ob er die Überzeugung des Autors teilt. Er kann sich sehr wohl gut unterhalten fühlen, auch wenn das Stück nicht seinen eigenen moralischen Wertvorstellungen genügt. Denken wir nur an Mario Puzos „Der Pate“ oder andere Filme, in denen selbst die sympathischsten Figuren skrupellose Mörder sind. All das nehmen wir gern in Kauf, solange Figuren und Handlung in sich selbst überzeugend und schlüssig sind.

Und welche Bedeutung hat das alles für kommerzielles Storytelling? Exakt dieselbe wie für fiktionales Erzählen. Der Hauptzweck von werblichen Geschichten ist es, Emotionen zu wecken und den Zuschauer von einem Produkt oder einer Lebensweise zu überzeugen.

Starke Emotionen aber entstehen nur aufgrund von ehrlichen, nachvollziehbaren Konflikten. Zumindest dann, wenn wir von Längen jenseits der 30 Sekunden sprechen.

Seit der digitalen Revolution und den Zeiten des Internets nimmt das kommerzielle Storytelling vor allem im Bereich der Social Medias zu. Content ist das Stichwort in aller Munde. Guter Content schafft heute das, was einst der TV Spot erzielt hat: Kundenbindung.

Unterdessen erreichen wir den Kunden nicht mehr vor einer abendlichen Fernsehsendung indem wir einen Platz im Werbeblock buchen. Heutzutage ist es der Kunde, der – im besten Fall ganz freiwillig und höchst ungeduldig – das Unternehmen, bzw. dessen Website oder Blog im Internet sucht. Warum? Weil es dort etwas zu entdecken und zu erleben gibt. Eine Serie vielleicht, deren Cliffhanger unseren User schon seit der letzten Folge unruhig schlafen lässt. Oder eine Reihe von Erlebnissen rund um die Marke, die in kurzen Episoden auf spannende Weise mit interessanten Protagonisten geschildert werden.

Alles ist möglich, alles erlaubt. Solange es uns begeistert. Und eine wirklich gute Geschichte begeistert uns deshalb, weil ihre Idee, ihr Verlauf, ihr Storytelling auf den Grundfesten einer starken, in sich schlüssigen Prämisse ruhen.